Die Lösungsphase – Wenn der Weg das Ziel ist!
Neulich habe ich einen Artikel über den richtigen Stundenaufbau gelesen und musste mich dabei ungemein ärgern. Mir war völlig unklar, für welches Zielpublikum der Artikel geschrieben war. Schon für den ambitionierten Freizeitreiter, geschweige denn für den Reitprofi, war er zu oberflächlich und für Reitanfänger war er schlichtweg unbrauchbar.
Eine richtig aufgebaute Reitstunde sollte für das Pferd, als auch für den Reiter, folgende Phasen beinhalten: die Lösungsphase, die Arbeitsphase und die Entspannungsphase. D’accord. Nun ist jede dieser Phasen aber kein Selbstzweck, sondern baut auf der vorhergehenden auf. Ohne Erreichen der Ziele der Lösungsphase, sollten Pferd und Reiter also gar nicht in die Arbeitsphase übergehen. Was passiert aber, wenn die Lösungsphase nicht gelingt?
‚Lösungsphase = Arbeitsphase‘ gilt für viele Reiter und Pferde
Nun ist mir klar, dass jedes Pferd anders gelöst werden muss. Aber es muss auch offen gesagt werden: Solange das Pferd nicht gelöst ist, ist das Ziel der gesamten Einheit das Lösen! Wer nun meint, 45 Minuten im Leichttraben auf der Tour – einmal links rum, einmal rechts rum – werden das Pferd schon in Selbsthaltung und zum Abkauen bringen, der täuscht sich. Wer immer das Gleiche tut, wird immer die selben Ergebnisse erzielen. Wenn das Pferd den Kopf hochnimmt, den Rücken wegdrückt oder nicht auf den Schenkel reagiert, hat es effiziente Wege gefunden, sich den Hilfen des Reiters zu entziehen und die üblichen Lektionen werden nur die üblichen Resultate bringen.
Bedeutet gelöst nur ‚Nase tief‘?
Ein weiteres, häufig anzutreffendes Bild ist das vom falsch verstandenen Lösen, und zwar das zwanghafte Lösen, was schon an sich ein Oxymoron ist. Beide Hände tief an den Oberschenkeln oder sogar am Knie gehalten und heftig links und rechts geriegelt, wird das Pferd in eine tiefe Kopfhaltung gezwungen. Hier mag vom gewünschten ‚vorwärts – abwärts‘ der zweite Teil teilweise, wenn auch nicht reell, erreicht werden. Doch von einem Vorwärts im Sinne von ‚mit Schub aus der Hinterhand‘ und ‚über den Rücken schwingend‘ ist man weit entfernt. Und sobald die Hände wieder in eine korrekte Position geführt werden, ist auch der Pferdekopf rasch wieder oben und die Nase weit vorne.
Kreativität ist gefragt!
Kann der Reiter sein Pferd also nicht selbstständig richtig lösen, ist die Aufgabe der Trainingseinheit, daran zu arbeiten. Hier ist größtenteils Arbeit an den Grundlagen gefordert und zwar für das Pferd, aber vor allem auch für den Reiter.
- Übergänge, Übergänge, Übergänge: Schritt – Trab, Trab – Galopp, Galopp – Trab, Trab – Schritt. Alleine das kann stundenfüllend sein. Korrekte Schenkelhilfe, spontane Reaktion, harmonische Paraden. Und das muss nicht langweilig sein. Punktgenaues Reiten kann dabei genauso trainiert werden, wie das Zählen der Schritte oder Galoppsprünge zwischen den Übergängen.
- Tempounterschiede: Auch hier soll in allen drei Grundgangarten gearbeitet werden. Ziel ist es, dass das Pferd willig und durchlässig die treibende Hilfe annimmt. Dabei soll es gleichbleibender Anlehnung spontan auf die treibende Hilfe reagieren und sich geregelt zurückführen lassen, ohne bei der Parade auf die Vorderhand zu kommen.
- Korrekte Wendungen: Richtiges Durchreiten der Ecken, große gebogene Bahnfiguren und Reiten am zweiten Hufschlag zur besseren Überprüfung der äußeren Begrenzung gehören zu den Fixpunkten der Lösungsübungen. Ein geschmeidiges Pferd, das sich links und rechts gleichmäßig um den inneren Schenkel biegen lässt ist dabei das Ziel.
Eine abwechslungsreiche Kombination aus sauber gerittenen Übergängen, Tempounterschieden und korrekten Wendungen gymnastizieren das Pferd und festigen gleichzeitig die korrekte Hilfengebung des Reiters. Beginnt das Pferd sich dabei zu lösen, sollte auch der Reiter in seinen Hilfen zum Nachgeben kommen, ohne aber passiv zu werden. Erst wenn dieses Zusammenspiel harmonisch gelingt, sollte mit dem Reiter weiterführender Lektionen begonnen werden.